Volksverräter!!

Die AfD Sachsen-Anhalt fordert in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl 2016: „Die Bühnen des Landes sollen neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.“ Daher rief der Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer AfD-Dramatiker dazu auf, ihm doch ihre Stücke zuzusenden. Da jedoch leider nichts bei ihm einging, machte er sich selbst auf die Suche nach geeigneten Stoffen, die der Forderung der AfD entsprechen könnten – was sich tatsächlich als schwierig herausstellte, wenn man auch nur ein bisschen unter die jeweiligen Oberflächen schaut und gleichzeitig eine gewisse Qualität voraussetzt. Er landete schließlich bei Ibsens Ein Volksfeind. Dort reibt sich der rebellische Kurarzt Stockmann an einem korrupten Establishment auf, das einen Ökoskandal vertuscht. Vor dem Hintergrund der identitär-autoritär-trumpistischen Welle unserer Tage dreht Schmidt-Rahmer den Spieß aber um: Wo ist hier eigentlich links? Die politische Provokation, die Behauptung, den unterdrückten Massen eine Stimme zu geben – das ganze liebgewonnene linke Gedankengut hat sich auf die Socken gemacht und sich nach rechts gestohlen. Heißt Rebellion heute automatisch rechts? Die bürgerlich-liberale Demokratie, zu Ibsens Zeiten noch in den Kinderschuhen, oder in einer Phase der Adoleszenz, ist möglicherweise in eine lebensbedrohliche Krise geraten. Und so ersetzt Schmidt-Rahmer Ibsens Titel Ein Volksfeind durch das Unwort des Jahres 2016 – Volksverräter!! feiert am Samstag Berlin-Premiere in der Volksbühne.